Fairer Handel

Der Bäcker und sein Schloss

Als wir ein Foto machen wollen, stellt sich Juan Pablo stolz hinter die Theke seiner Bäckerei im kolumbianischen Medellin. „So?“ fragt er posierend und lacht. Es ist gar nicht so einfach, den leidenschaftlichen Bäcker mit seinen Backwaren und der orientalisch anmutenden Bäckerei auf ein ausdrucksstarkes Foto zu bringen. Als ich mir die Ergebnisse später anschaue, bin ich fast enttäuscht – irgendwie fängt dieser Ausschnitt die Wirklichkeit nicht adäquat ein.

Doch halt, ich muss von vorne anfangen, wie kommt es überhaupt, dass ich jetzt hier in Medellin bei einem Bäcker stehe, der mal Arzt werden wollte und Fotos von ihm mache?

Bei meiner Recherche über Mikrokredite stieß ich auf die Webseite Kiva.org, auf der Menschen anderen Menschen direkt einen Kredit (ab 25 US-Dollar) geben können. Wer einen Kredit gibt, kann sich über den Kreditnehmer informieren, über dessen Pläne und Ideen, aber auch über das Risiko, den Kredit nicht zurückzubekommen. Doch die Kredite werden natürlich nicht direkt vom Kreditgeber zum Kreditnehmer überwiesen, dazwischen steht noch eine Organisation, die den Kredit vermittelt. Im Falle Kolumbiens, und insbesondere der Stadt Medellin, ist Interactuar[1] der größte Kreditgeber. Interactuar organisiert Kivakredite, vergibt aber auch andere Gelder, ein kompliziertes System. Über diesen Kreditgeber bin ich jedenfalls auf Andres Felipe Ramirez Moncada von Interactuar gestoßen, der den Kontakt zu Juan hergestellt hat. Und wer ist jetzt nochmal genau Juan?

360° Foto der Bäckerei

Juan ist Mitte dreißig, hat keine Kinder, aber eine eigene Bäckerei, ein großartiger Erfolg. Die Wirklichkeit, Juans Wirklichkeit, sieht allerdings so aus: Als junger Mann wollte er gerne Medizin studieren und Arzt werden. Doch das ist in Kolumbien nicht so einfach, es gibt nur wenige öffentliche Universitäten und die privaten sind teuer. Das konnte sich Juans Familie nicht leisten. Also arbeitete er erst einmal – denn ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland, bei dem man zum Teil zur Schule geht und zum Teil in einem Betrieb arbeitet und dafür auch etwas Geld bekommt, gibt es in Kolumbien nicht.

Irgendwann wollte Juan aber nicht mehr einfach nur als ungelernter Arbeiter angestellt sein. Er wollte sich selbstständig machen und seine eigene Bäckerei haben. So begann er zunächst im heimischen Backofen Kekse zu backen, diese in die Firma zu schmuggeln und seinen Kollegen zu verkaufen. Die waren so begeistert, dass die Bestellungen mit dem normalen Backofen bald nicht mehr zu bewältigen waren. Und so wandte sich Juan an die Mikrokreditorganisation Interactuar und ging den mutigen Schritt, Bäcker zu werden. Dafür besuchte er zunächst Kurse, die Interactuar anbietet und die er selbst bezahlte. „Ich habe dort in verschiedenen Kursen alles gelernt. Brot und Brötchen backen, Kuchen und Kekse herstellen, aber auch Rechnungen schreiben und die ganze Buchführung. Ich konnte vorher fast nichts, aber die Kurse waren sehr gut und auch nicht so teuer“, sagt der Entrepreneur. Drei Jahre lang besuchte er immer mal wieder verschiedene Kurse, bis er schließlich seine erste Bäckerei eröffnen konnte. Dafür beantragte er einen Kredit bei Interactuar, den er auch bekam. Heute ist er an diesem neuen Standort mit der orientalischen Dekoration und hat eine weitere Bäckerei eröffnet, in diesen beiden Läden beschäftigt er insgesamt fünf Menschen.
Jetzt sind wir natürlich neugierig und wollen sein Lieblingsgebäck probieren. „Also ich empfehle die Bisquitrolle, auf die bin ich besonders stolz. Und außerdem die Buñuelos, das sind Mais-Käse-Bällchen, ein typisches Gebäck hier in Kolumbien.“

Während wir uns die Köstlichkeiten schmecken lassen, wollen wir wissen, was er als nächstes vorhat, was seine Träume sind. „Ich würde gerne in verschiedene Länder reisen und überall lernen, wie man dort Brot backt. In Deutschland habt ihr ja ganz anderes Brot als wir hier, das würde mich sehr interessieren. Aber wahrscheinlich werde ich mir das nie leisten können, auch wenn ich von der Bäckerei hier gut leben  und sogar meine Mutter unterstützen kann. Außerdem kann ich ja gar nicht frei nehmen, ich bin jeden Tag in der Bäckerei. Aber ich habe noch einen anderen Traum: Eines Tages mein eigenes Schloss zu haben – ein Schloss aus Mehl, mein Castillo de harina.“ Dann lacht er ein verschmitztes Lächeln, das uns zeigt: er meint es ernst. Wir werden in Kontakt bleiben und hoffentlich können wir den Bäcker Juan eines Tages in seinem Schloss besuchen.


[1] http://www.interactuar.org.co/en

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