Fairer Handel

Mutige Frau – volles Risiko


Draußen ist es kühl und wird schon langsam dunkel, als wir an einem Freitagnachmittag bei Olga im Büro ankommen. Es liegt am Ende eines langen Korridors, die Tür wirkt sehr robust, mit vielen Schlössern und Riegeln. Kein Wunder, denn das Büro liegt mitten im Herzen der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, einer Stadt in der es auch heute noch viele Probleme gibt.
Der Kontakt zu Olga kam über einige Ecken zustande, doch dieser lange Weg war es wert, denn das Treffen mit ihr erweist sich als ein Glücksfall: Sie spricht deutsch und hat viele Jahre in Hessen gewohnt. Die geduldige, interessierte und offene Kolumbianerin erzählt uns gerne ihre Geschichte.

Nach langen Jahren in Deutschland zog sie wieder nach Kolumbien zurück und wollte etwas für ihr Land und die Menschen hier tun. Einen sinnvollen Job machen und ihre Landsleute unterstützen. Also begann sie, fair produzierten Schmuck nach Europa zu exportieren. Doch das war gar nicht so einfach, denn ein Fairtrade Zertifikat hat ihre Exportfirma „La Cucaracha“, (zu deutsch „Die Kakerlake“), noch nicht. Im kolumbianischen Handwerk gibt es überhaupt wenig Firmen, die ein solches Zertifikat vorweisen können. Dies liegt vor allem an den damit verbundenen hohen Kosten, denn diese muss der Hersteller, nicht etwa der Importeur, aufbringen.

Logo von „La Cucaracha“

Paradox, denke ich. In einem Land wie Kolumbien, in dem die Löhne und Gewinne niedrig sind, müssen die Zertifikatsfirmen aus Europa bezahlt werden, die Flüge, der Aufenthalt der Zertifikatsperson und weiteres. Nur bei wenigen Firmen wird das Zertifikat vom Importeur bezahlt, das ist zum Beispiel beim Produzenten von Outdoorkleidung “Miquelina” der Fall. Einen Artikel zu meinem Besuch bei Miquelina findest du unter https://fairtradeajourney.org/2019/04/30/das-projekt-einer-nonne-machte-den-anfang/ bzw. hier:

https://fairtradeajourney.org/2019/04/30/das-projekt-einer-nonne-machte-den-anfang/

Unglücklicherweise ist Kolumbien grundsätzlich als Produktionsland weniger attraktiv als viele beispielsweise asiatischen Länder, da hier die Löhne und Güter verhältnismäßig „hoch“ sind.

So müssen also die Produzenten die hohen Kosten der Zertifizierung tragen. Dabei wollen wir in Europa doch mit fairem Handel eigentlich erreichen, dass die Menschen in den Herstellerländern mehr verdienen. Stattdessen müssen sie erst einmal Geld investieren, das sie wahrscheinlich gar nicht haben. Und durch das Siegel bekommen sie ja keine Abnahmegarantie, tragen also das volle Risiko. „Gibt es da keine Stelle in Kolumbien, die euch Unternehmer unterstützt?“, frage ich. „Doch“, sagt Olga, „Die WFTO[1] (World Fairtrade Organisation, die internationale Dachorganisation für Fair-Handels-Organisationen) hat ein Lateinamerikabüro in Paraguay. Und dann gibt es da noch ProColombia, die Büros in verschiedenen Ländern der Welt hat, so auch in Frankfurt. ProColombia kontaktiert potentielle Importeure, lädt sie nach Kolumbien ein, veranstaltet auch Messen für Handwerker. So wurde auch die EZA[2] (die größte Fairtrade Importorganisation Österreichs) auf „La Cucaracha“ aufmerksam“.

Eine Person der EZA macht dann ein Audit und re-auditiert alle 2 Jahre, um sicherzustellen, dass die Mindeststandards des fairen Handels eingehalten werden. So sind die Produkte beispielsweise kinderarbeitsfrei und die Arbeiter erhalten einen Lohn, der wenigstens dem gesetzlichen Mindestlohn im jeweiligen Land entspricht. In Kolumbien sind das aktuell 828.116 kolumbianische Pesos , was etwa 235,7 € entspricht. Dazu kommt noch ein Transportkostenzuschuss für z.B. ein Busticket von nicht ganz 100.000 Pesos (etwa 26€). Pro Monat. Bei dem Gedanken muss ich schlucken. Kolumbien ist günstig, für uns Europäer jedenfalls. Ein Mittagsmenü kann man schon für 2 oder 3 € haben, aber importierte Waren wie beispielsweise Niveacreme, kosten hier nahezu genauso viel wie in Deutschland. Große Sprünge kann man also mit dem Mindestlohn nicht machen und ob es zum Überleben reicht, wage ich zu bezweifeln. Und wenn Fairtrade nur die Einhaltung des Mindestlohns garantiert, heißt das dann im Umkehrschluss, dass es auch Menschen gibt, die mit noch weniger auskommen müssen? Anscheinend ja. Denn: “Auf dem Land”, erzählt mir Olga, “ist es oft noch weniger, weil sich die Arbeitgeber meistens nicht an die Vorgaben für den Mindestlohn halten”.  

Materialien, die Olga für die Schmuckherstellung nutzt

Ich vergesse immer wieder, dass deutsche Maßstäbe hier nicht gelten, und bin sehr dankbar dafür, in einem Land mit einer so guten Wirtschaftslage und einem stabilen Sozialsystem aufgewachsen zu sein. Umso wichtiger finde ich es, dass Menschen, die Produkte für mich herstellen, wenigstens nicht ausgebeutet werden. Das sollte bei fairem Handel der Fall sein, denn er garantiert neben dem Mindestlohn auch, dass die gesetzlichen Arbeitszeiten nicht überschritten werden und der Arbeitsplatz sicher gestaltet ist, so dass keine Gesundheitsgefährdungen wie Vergiftungen durch Chemikalien oder Verletzungen durch unsichere Maschinen etc. vorkommen können.

Zusammengefasst soll der höhere Preis, den wir in westlichen Ländern für fair gehandelte Produkte zahlen dafür sorgen, dass es den Menschen, die unseren Schmuck, unsere Outdoorkleidung oder unseren Kaffee herstellen, besser geht. Anders gesagt stimmen wir beim Kauf jedes Produktes immer auch über die Herstellungsbedingungen mit ab. Natürlich ist nicht nur die Konsumentin in der Pflicht, aber sie hat bei jedem Kauf die Gelegenheit, durch ihre Entscheidung ihre Meinung über Herstellungsbedingungen kundzutun. Auch wenn sich nicht jeder die meist etwas teureren Fairtrade Produkte immer leisten kann: oft ist auch beim Konsum weniger mehr.

Das Fairtrade Siegel garantiert also einen etwas höheren Lohn, Direktimporte führen oft zu noch besseren Bedingungen für die Arbeiter. Olga zum Beispiel zahlt das Doppelte des Mindestlohns, sie orientiert sich dabei am Living Wage[3]. Der Living Wage oder existenzsichernder Lohn ist das Mindesteinkommen, das ein Arbeitnehmer benötigt, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Dazu gehören Nahrung, Unterkunft und andere Grundbedürfnisse wie Kleidung. Ziel des Living Wages ist es, den Arbeitnehmern einen grundlegenden, aber angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Das finde ich gut, denn so stelle ich mir fairen Handel vor: dass die Herstellenden von ihrer Arbeit leben können.

Und wie läuft es bei Olga im Moment?
Zurzeit exportiert “La Cucaracha” etwa 1.000 Teile pro Monat, zweimal im Jahr gibt es ein neues Design, das Olga selbst entwickelt. Unter anderem schöne, leichte Schmuckstücke aus Seidenkokons. Olga erzählt mir auch, warum Seide hier ein wichtiges Produkt ist. Sie wurde in Kolumbien in den 1980ern eingeführt, denn um Seidenraupen zu züchten braucht man in etwa das gleiche Klima wie für Kaffee. Kaffee allerdings ist ein langsam wachsendes Produkt. Nach dem Pflanzen der Bäumchen dauert es ganze 18 Monate, bis die rote Kirsche zum ersten Mal geerntet werden kann (mehr zum Kaffeeanbau auch in diesem Artikel (hier klicken)). Auch danach wird der Kaffee nur alle 6 Monate reif. In der Zwischenzeit hat der Kaffeebauer also kein Einkommen, zugleich aber Zeit für andere Dinge, wie beispielsweise für die Produktion von Seide.

Olga trägt einen ihrer Ohrringe aus Kürbisschale


Außerdem sehe ich in Olgas Büro leichte Ohrhänger aus Kürbisschalen, die raffiniert geschnitzt und schön bemalt sind. „Die Kürbisschale kommt aus dem tiefen Süden Kolumbiens, wird aber hier verarbeitet, denn nur so kann ich die Produktion und die Produktionsbedingungen kontrollieren”.
Olga ist offensichtlich stolz auf das, was sie hier mit viel Mühe und Herzblut aufgebaut hat – zu Recht. „Aber wir würden uns natürlich freuen, wenn wir noch mehr Produkte nach Europa exportieren könnten“ sagt sie und lächelt mich an „Im Moment ist es für alle Produzenten nur ein Nebenerwerb, die Aufträge reichen noch nicht aus, um davon leben zu können. Außerdem bin ich noch nicht zertifiziert, was den Export schwieriger macht. Das Audit hat schon stattgefunden und ich bin auch re-auditiert worden, aber ich kann mir das Siegel einfach nicht leisten. Im Moment suche ich nach einem Sponsor und hoffe, dass ich so das Geld für das Fairtrade-Zertifikat zusammen bekomme.“


Die Idee von Fairtrade ist also zweifellos gut, aber dadurch, dass die Siegel für den Exporteur bzw. Hersteller eine große finanzielle Investition darstellen, die viele kleine Unternehmen überhaupt nicht stemmen können, komme ich nicht umhin, das System eurozentristisch zu finden. Es ist weniger an den Realitäten der Menschen in der Herstellerländern orientiert, als vielmehr an unserem System und unseren Ideen davon, wie Wirtschaft, Handel, Partnerschaft und Zertifizierung zu funktionieren haben. Olga lacht. Ja, das sieht sie auch so. Und zum Beweis, wie stark die Dominanz der Importländer auch in dieser Form des Handels ist, erzählt sie mir noch die Anekdote des 250 km von hier entfernten Tibasosas , einer fortschrittlichen Gemeinde, in der 1963 die erste Bürgermeisterin Kolumbiens gewählt wurde (und damit nur 15 Jahre nach der ersten deutschen Bürgermeisterin Erika Keck in Ahrensburg ). Diese Stadt wollte gerne die erste Fairtrade Stadt Kolumbiens werden. So wie es etwa meine Heimatstadt Darmstadt seit 2013 ist oder auch Trier, mit seinem eigenen fairen Stadtkaffee (siehe hierzu auch den Blogbeitrag: https://fairtradeajourney.org/2019/04/17/von-weiten-wegen-und-steilen-haengen-eine-reise-zu-den-kolumbianischen-wurzeln-des-trierer-stadtkaffees/) seit 2010, sowie 594 Städte in Deutschland, sowie 2.174 Fairtrade Towns weltweit.

Bereits wenn man sich die Karte von http://www.fairtradetowns.org/ anschaut, fällt eines auf: Die meisten Fairtrade-Towns sind in westlichen Ländern; alleine Großbritannien und Deutschland stellen gemeinsam über die Hälfte. Das spricht sicherlich für diese beiden Länder. Zugleich wirkt es merkwürdig, dass den 635 Städten in Großbritannien nur Sage und Schreibe 7 Städte in ganz Lateinamerika gegenüberstehen, keine davon in Kolumbien. 
Bisher konnte Tibasosa nicht Fairtrade-Stadt werden, weil es keine Fairtrade zertifizierten Anbauer in der Nähe des Dorfes gab, die mitmachen wollten. Auch die Gemeinde ist noch nicht ganz im Boot. Aber das soll sich bald ändern, denn im Mai 2019 wurde dort der internationale Fairtradetag gefeiert. An diesem Tag gab es einen Markt mit vielen Bauern aus der Region. Einige von ihnen sind schon Fairtrade zertifiziert. Bald könnte also der Traum wahrwerden: Der Bürgermeister hat ein Budget zugesichert und noch in diesem Jahr soll eine Fairtrade-Town Vertreterin zu Besuch kommen. Mit viel Engagement und ein bisschen Glück könnte Tibasosa also die erste Fairtrade-Stadt Kolumbiens werden – wir drücken ganz fest die Daumen.

Edit September 2019: Kürzlich schickte mir Olga dieses Bild. Eine Einladung mit der Tibasosa feiert, dass sie erste Fairtradestadt Kolumbiens ist – ein toller Erfolg!

Herzlichen Glückwunsch an Tibasosa, dass sie erste Fairtradestadt Kolumbiens ist!

[1] https://wfto.com/

[2] https://www.eza.cc

[3] https://en.wikipedia.org/wiki/Living_wage

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2 Kommentare

  1. Ulrich Pietsch says:

    Bevor sich ein Produzent für den Erwerb eines Zertifikats entscheidet, wird er durch Vertreter der Produzentennetzwerke unverbindlich beraten. Dabei kann sich auch herausstellen, dass sich das Geschäftsmodell des Produzenten zur Zertifizierung nicht eignet. Das kann an der Vermarktbarkeit der Produkte liegen, oder auch daran, dass die erforderliche Produktqualität nicht erreicht werden kann. Wenn sich diese Probleme nicht lösen lassen, wird dem Produzenten von einer Zertifizierung abgeraten. Bei einer Entscheidung für eine Zertifizierung kann die Finanzierung auch durch einen fairen Kredit realisiert werden. Durchführung der Zertifizierung und kontinuierliche Kontrolle der Produktionsbedingungen wird dann von der Zertifizierungsgesellschaft FLOCERT durchgeführt.

    1. stefanieschoeler says:

      Hallo Ulrich,
      Danke für diese Ergänzung!

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