Fairer Handel Café de Colombia - Reisebericht

Café de Colombia – Tag 11 (letzter Tag)

Dieser Beitrag ist Teil von 9 von 9 in der Serie Café de Colombia - Reisebericht

Heute treffen wir uns ein letztes Mal in Sachen Kaffee. Es geht zu Cooagronevada1 (eine Wortschöpfung aus Cooperativa (Kooperative) agrocultura (Landwirtschaft) und Sierra Nevada (Region bei Santa Marta)). In dieser Kooperative hatten sich im Jahr 2007 ganze 21 Familien von Kaffeebauern und Landwirtinnen zusammengeschlossen.

Comité de mujeres - Frauenkomitee.

Inzwischen (2020) sind es über 70 Familien und es gibt ein spezielles Frauenkomitee mit 26 Mitgliedern. Dieses Komitee arbeitet an der Gleichberechtigung von Frauen in den Kaffeeanbauerfamilien. Damit ist die Kooperative nun nicht nur für fairen Handel und Bioanbau zertifiziert, sondern auch „Women Care Certified®“ (WCC).

Das Siegel WCC wurde von Alianza de Mujeres de Café de Costa Rica (AMCCR) (etwa: Allianz von Frauen im Kaffeehandel in Costa Rica) 2015 eingeführt. Es soll auf die besondere Situation von Frauen aufmerksam machen und ihre Chancen und Gleichberechtigung fördern.

Mitmachen können nur Bauernfamilien, bei denen die Finca der Frau gehört. Ob sie alleinstehend ist oder verheiratet, spielt dabei keine Rolle.

Insgesamt 14 Container voll Kaffee der Cooagronevada erhielten 2019 dieses Siegel, erzählt uns Sandra Palacios von der Kooperative.

Und die Wissenschaftlerin Xiomy, die auch unsere Reiseleiterin ist, erzählt uns ein bisschen mehr zu den Hintergründen und der Bedeutung solcher Bemühungen für mehr Gleichberechtigung. Hier im Nordosten Kolumbiens haben die Frauen heute etwas mehr Rechte, als vielleicht anderswo im Land. Ursprünglich der traurigen Tatsache geschuldet, dass in dieser Region die Paramilitärs sehr aktiv waren.

 Im Friedensprozess wurden daher hier besonders viele Förderungen vergeben. Durch diese Förderungen sollte ehemaligen Kämpfern ermöglicht werden, ein ehrliches Einkommen durch den Kaffeeanbau zu erwirtschaften. Auch Don Omar, den wir zu Beginn unserer Reise besucht hatten, hatte uns schon davon erzählt.2

Durch diese Vorgeschichte der Frauenförderung war es vielleicht für die Cooagronevada besonders einfach, Familien zu finden, bei denen die Finca der Frau gehört. Und sich so für das WCC Siegel zu qualifizierten.

 

Keine Gewalt gegen Frauen - ein Ziel des Women's Coffee Siegels
Das Design der Verpackung wurde von Student:innen entworfen.

Unterstützung erhielten sie außerdem noch von anderer Stelle: Studierende der Universität Bogotá entwickelten für den Frauenkaffee ein Logo und eine spezielle Verpackung. Im Rahmen des Projektes wurden sogar die ersten 10.000 Verpackungen gespendet, so dass die Kooperative das Design sofort einsetzen konnte.
Dies wiederum erleichtert die Vermarktung des Kaffees unter einer eigenen Marke. So können die Frauen den Kaffee nicht länger „nur“ anbauen sondern rösten, verpacken und verkaufen ihn direkt selbst. 

Der große Vorteil: mehr Schritte des Wertschöpfungsprozesses bleiben im Herstellerland und damit auch ein größerer Teil der Gewinne (siehe hierzu auch Interview mit Natalie Weiß – hier klicken).
Um noch andere Einkommensquellen zu haben, unterhält die Kooperative außerdem ein eigenes Café, in dem sie Kaffeespezialitäten ausschenkt.

Wir haben dieses Mal keine Zeit, das Café Donama3 noch zu besichtigen – aber ich bin von der Idee begeistert und nehme mir fest vor, es bei meiner nächsten Reise nach Santa Marta zu besuchen.

Hier geht's zur Seite des Café Donamas.

 Wie auch bei Arte y Pasion in Bogotá, werden mit diesem Projekt gleich mehrere wichtige Ziele erreicht. Zum einen die schon angesprochene Gewinnsteigerung. Zum anderen aber auch eine veränderte Rolle der Kaffeebauern und –bäuerinnen. Und zum dritten wird damit der Binnenkonsum von gutem Kaffee gefördert.

Auch dies ist ein Anliegen vieler Akteure im kolumbianischen Kaffeemarkt: Die eigenen Landsleute für bessere Kaffee-Qualität zu begeistern. Aktuell wird in Kolumbien, wie in den meisten Kaffee produzierenden Ländern, ein einfacher, billiger Kaffee getrunken. In Kolumbien heißt er „Sello Rojo“ (zu deutsch: rotes Siegel). Ein günstiger Kaffee, der gemahlen im Regal des Supermarktes steht und überwiegend die weniger wertvollen Bohnen enthält, die sich für den Export nicht eignen.

Diesen Missstand möchte eine junge und ambitionierte Generation von cafeteros und cafeteras ändern: mit den Baristakursen in Bogotá, mit der Teilnahme an Cuppingmeisterschaften, aber auch mit Cafés in kleineren Städten wie Santa Marta.

Und natürlich mit der Ausbildung von Menschen, die die Qualität des Kaffees besser selbst bewerten können. Aktuell freuen sie sich noch, wenn die „Profis“ aus Europa oder den USA zu Besuch kommen. Nicht nur wegen der Hoffnung auf eine langfristige Handelsbeziehung mit fairen Preisen. Sondern auch, um ein Feedback zum eigenen Produkt zu bekommen. Wie schmeckt der Kaffee den Importeuren? Wie viel Punkte auf der SCA Skala würde er bekommen? Und damit verbunden: wie wertvoll ist er? Aber auch eine Einschätzung zur Vergrößerung der Produktpalette: welche Produkte könnten wir noch exportieren?

Eine breitere Produktpalette führt zu weniger Abhängigkeit vom Kaffeepreis, da sie ein weiteres Einkommen ermöglicht. Und so das Risiko minimiert, das mit der Abhängigkeit von nur einem Produkt einhergeht. Denn auch in Kolumbien spüren die Menschen die Folgen des Klimawandels: es wird wärmer. Und damit schwieriger, Kaffee anzubauen. In der Sierra Nevada bleibt vielen Bauern und Bäuerinnen nur die Möglichkeit, in den kühleren Zonen weiter oben am Berg Kaffee anzubauen.

 Dafür müssen sie Wälder abholzen, anders können sie ihre Lebensgrundlage nicht sichern. Um also ein Stück weit unabhängiger vom Kaffee zu werden und eine alternative Einnahmequelle zu haben, setzen die Frauen von Cooagronevada auf weitere Produkte wie Honig und Kakao.

Kakao hat für sie den großen Vorteil, dass er ein ähnliches Klima benötigt wie Kaffee, dabei aber etwas robuster gegen Temperaturänderungen ist. Außerdem gibt es einen großen Markt – denn beispielsweise in Deutschland verbrauchen wir pro Person 10 kg Schokolade – jedes Jahr! Doch leider stammt der Großteil davon aus nicht-nachhaltigem Anbau und bisher kommen nur 16% des weltweit angebauten Kakaos aus Mittel- und Südamerika. Und so ist noch nicht ganz klar, ob sich der Anbau von Kakao in Kolumbien langfristig finanziell lohnt. Bei nicht fair gehandelter Schokolade ist es schwierig: es bleiben nur etwa 7% des Kakaopreises beim Bauern, bei einer günstigen Tafel (89 Cent für 100 Gramm Milchschokolade) sind das etwa 6 Cent.4

Neben Kaffee wird hier auch Honig (spanisch: Miel) produziert.

Ein weiterer Nachteil ist, dass Kakaobäume erst nach 5-6 Jahren blühen und erst nach 12 Jahren den vollen Ertrag bringen. Dafür blühen und tragen sie dann jedoch das ganze Jahr über und können bis zu 100 Jahre alt werdenDarüber hinaus müssen auch für Kakao zunächst der Markt analysiert werden, Kunden für die Produkte gefunden, Handelsbeziehungen aufgebaut und auch die Wünsche der Endkunden berücksichtigt werden.

So sehen die Kaffeesäcke der Cooagronevada aus.

Im Kaffeeexport hingegen hat sich Cooagronevada inzwischen gut etabliert, sogar auch als Produzent:innen von Spezialitätenkaffee. So berichtet uns Sandra von zwei Kunden, die nur Kaffee mit mindestens 84 SCA Punkten5 kaufen.
Längst können nicht alle Genossinnen diese Qualität liefern, nur einzelne erreichen 85 Punkte. Und was passiert dann?
Wenn ein Kaffee nur 83 Punkte
erreicht, so wird er mit Kaffee gemischt, der 85 Punkte erreicht, um im Mittel die vom Kunden gewünschte Punktezahl zu erhalten.
Der Preis, den die Genossinnen ihrerseits von der Kooperative erhalten, setzt sich zusammen aus dem Basispreis, sowie Aufschlägen für Bioanbau und auch für bessere Qualität.6

Von Sandra möchte ich wissen: Wäre für die Frauen mit der höheren Qualität ein direkter Handel nur ihres Kaffees nicht lukrativer? Denn gerade nimmt das Interesse an Microlot Kaffee zu, wie schon in anderen Artikeln dieser Reise beschrieben. Durch die Mischung lässt sich der Kaffee aber nicht mehr als sortenrein verkaufen.

Doch Sandras Antwort ist ein entschiedenes Nein. Sie hält generell nicht viel von der Idee, dass einzelne Genoss:innen ihren Kaffee alleine verkaufen. Dies würde den solidarischen Gedanken der Genossenschaft untergraben. Und so verkauft Cooagronevada ausschließlich Mischungen. Damit erreichen sie vielleicht nicht die absoluten Spitzenpreise, die third wave coffees (single lot, mircolot) erzielen könnte, sicheren dafür aber die langfristige Solidarität unter den Anbauer:innen.7

Denn wenn man als Genossin eine gute Sorte anbaut und ein gutes Jahr hat, könnte es zwar sehr lukrativ sein, den Kaffee in diesem Jahr direkt zu verkaufen und nicht als Teil der Genossenschafts-Mischung. Doch im nächsten Jahr ist vielleicht die Wetterlage schon anders und man erreicht nicht mehr die gleiche Qualität – und genau um diese Risiken abzufedern lohnt sich der Zusammenschluss in der Genossenschaft.

Verschiedene Verpackungen von Kunden.
Das Geschmacksprofil des Cooagronevada Kaffees.

Nach den vielen Informationen geht es nun endlich wieder zum Cupping, dem Kaffeetesttrinken. Wir schmecken, dass sich hier die Menschen Gedanken um die Qualität des Kaffees gemacht haben. Auch die Cooagronevada verfeinert ihren Kaffee mit Prozessen wie honey8. So haben sie das Geschmacks-Profil ihres Kaffees verbessert und interessanter gemacht.

Der Geschmack spielt bei vielen Kaffeetrinker:innen inzwischen aber nicht die einzige Rolle. Sondern mehr und mehr auch die Frage: woher kommt der Kaffee, wer hat ihn angebaut? Wie geht es diesen Menschen?
Wie bei allen Kooperativen und Kaffeebauern, die wir auf dieser Reise besucht haben, erlebe ich auch hier wieder engagierte Menschen, Männer wie Frauen, die gerne einen guten Kaffee anbauen und ihn für einen Preis verkaufen möchten, von dem sie gut leben können.

Ein spezieller Cupping-Löffel zum Verkosten des Kaffees.

Das sollte unser aller Ziel sein!

Denn ist es nicht verrückt, dass viele Menschen bereit sind, bei der us-amerikanischen Kaffee-Kette Starbucks für eine „Venti Pumpkin Spice Latte Decaf Soymilk“ (das beliebteste Getränk im Herbst, von dem behauptet wird, es habe etwas mit Kürbis und Kaffee zu tun, das im Prinzip aber nur aus Fett und Zucker besteht9) fast 6€ zu bezahlen, aber beim gleichen Preis für ein 250g Päckchen Kaffee zurückschreckt (das locker reichen würde, um 15 Spicy Lattes zu Hause zuzubereiten10)?

Ich denke: Wir müssen dahin kommen, dass der Konsum von fair gehandeltem Kaffee und generell der Kauf von fair gehandelten Produkten zum Standard wird!

Und so sitze ich beim Schreiben dieses Artikels im fernen Deutschland und trinke ein Tässchen Rebeldia des Café Libertad Kollektivs11. Bis der Kaffee es in meine Tasse geschafft hat, hat er schon eine lange Reise hinter sich. Ein Pflücker, der wahrscheinlich aus einem anderen Teil des Landes kommt und wochenlang in einem Mehrbettlager schläft, hat die reifen Kaffeekirschen an einem steilen Hang unter brütender Sonne oder im strömenden Regen gepflückt. Er hat sie zur Wage getragen und zumindest den Mindestlohn dafür bekommen. Vielleicht war es aber auch die Kaffeefarmerin, die den Kaffee selbst gepflückt hat. Der Kaffee wurde gewaschen, geschält, getrocknet. In Säcke verpackt. Auf dem Rücken eines Maultiers von den Hängen der Sierra Nevada über die von der Kooperative gebauten Brücke ins Dorf gebracht. Dort von der Kooperative gewogen, geprüft, angekauft und gelagert. Von dort mit einem Pickup Truck noch weiter runter zum Zentrallager der Kooperative gebracht. Hier vielleicht nochmal nachgetrocknet: Also wieder raus aus den Säcken, in der Sonne ausgebreitet, wieder in zurück in die Säcke verpackt. Im Lager zu einem wahren Labyrinth aufgestapelt. Vom Zwischenlager ins Hauptlager in Santa Marta gebracht, sortiert, wieder in Säcke verpackt. Schließlich auf LKWs zum Hafen von Santa Marta gefahren – zum Glück ist das Meer hier nah.12 Auf einem Schiff hat er mehrere Wochen lang den Ozean überquert, bis er in Hamburg ankam. In der Hansestadt wurde er beim Café Libertad Kollektiv eingelagert. Wieder geprüft. Zum Röster transportiert. Wieder zurück. Verpackt. Und schließlich per Post zu mir geschickt. Wahnsinn – denke ich. Ich lehne mich zurück und genieße den Kaffee umso mehr!

1 https://cafecooagronevada.com/ , https://cafecooagronevada.com/who-we-are/?lang=en

2 Er empfand es als ungerecht, dass ehemalige Guerillakämpfer eine Starthilfe im Kaffeeanbau bekamen, er hingegen keine Förderung erhielt, weil er schon zuvor Kaffeebauer gewesen war.

5 SCA ist die Specialty Coffee Association. Ein “normaler” Kaffee liegt immer unter 80 Punkten, ab 80+ beginnt der Spezialitätenkaffee. Von 80-84,99 Punkten wird der Kaffee als sehr gut, von 85-89,99 Punkten als exzellent und von 90-100 Punkten als herausragend bezeichnet. Nicht mal 1% des weltweit geernteten Kaffees erhält diese Bestnote. Vgl. https://www.coffeecircle.com/de/b/specialty-coffee-definition, abgerufen am 1.12.2020.

6 Die meisten Genossinnen bauen Kaffee mit einer Qualität von 82 bis 83 Punkten an.

7 Wenn man die Qualität von Kaffee in Stufe einteilen wollte, dann ist die erste/unterste Stufe einfach eine Mischung aus weltweit zusammengekauften Bohnen. Auf unseren Jakobs-Kaffee-Geschmack abgestimmt zusammengeworfen. Diesen Kaffee trinken wir auch in Deutschland schon seit Jahren. Wir finden ihn in vielen Packungen von Tchibo, Melitta aber auch den Eigenmarken der Supermärkten. Auf der nächsten Stufe der Kaffeeevolution setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass Kaffee aus unterschiedlichen Regionen unterschiedlich schmeckt. Es wurden (und werden) Kaffees vermarktet, die nur aus bestimmten Ländern kommen. Auf der nächsten Stufe wird das Ganze noch kleinteiliger – es geht um bestimmte Regionen, analog zum Wein. Die letzte Möglichkeit, jetzt regionaler noch weiter zu spezifizieren, ist die Beschränkung auf einen einzelnen Hang – ein Microlot. Quasi ein Kaffee von Sandras Südhang.

8 Honey processing bedeutet, dass beim Waschen der Kaffeebohne die dünne Schleimhaut nicht vollständig entfernt wird. Diese enthält von Natur aus Zucker. Beim Trocknen verbleibt diese Süße im Kaffee.

10 Wenn wir davon ausgehen, dass in einem solchen Getränk ein doppelter Espresso steckt, der üblicherweise mit 17 g Kaffeepulver zubereitet wird (vgl. z.B. https://kaffeemacher.ch/espresso-zubereiten/, abgerufen am 26.11.2020)

11 Hier könnt ihr den Kaffee bestellen: https://www.cafe-libertad.de/rebeldia (dies ist KEIN Affliatelink, ich bekomme also KEIN Geld, wenn ihr auf diesen Link klickt)

12 Wenn der Kaffee nicht im Landesinneren angebaut wurde, wie der Kaffee von Don Omar – dann kommt natürlich noch ein längerer Weg zum Meer dazu.

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