Am nächsten Morgen verlassen wir Santa Marta und fahren eine Weile die Küstenstraße entlang. Dann geht es in die Sierra Nevada, in das höchste Küstengebirge der Welt. Wir machen Zwischenstation in San Pedro, wo die Kooperative Red Ecolsierra ein Ankaufspunkt hat. Hierher bringen die Kaffeebauern der unmittelbaren Umgebung ihren Kaffee, um ihn an die Kooperative zu verkaufen.
Die Kooperative Red Ecolsierra setzt verstärkt auf Spezialitätenkaffee, um den Gewinn seiner Mitglieder zu steigern. Auf diesem Plakat ist festgehalten, was ein Spezialitätenkaffee von einem „Microlot“ ist: ein spezieller Kaffee, der nur von einem Bauern oder einer Finca kommt. In der Regel handelt es sich um Mengen zwischen 500 und 2.000kg.
Auf dem mittleren Bild sieht man die genauen Definitionen von kleinen und großen Anbauflächen. Das rechte und linke Bild zeigen einige der unzähligen Kaffeesäcke im Zwischenlager hier in San Pedro.
Zurück in den Jeeps schaukeln wir uns weiter auf meist ungeteerten Straßen immer höher hinauf, bis selbst die Lehmstraßen ein Ende haben.
Wir steigen um – vom Jeep auf Mulis und schon geht es weiter. Der Weg ist noch lang und hier, so nahe am Äquator, wird es früh dunkel.
Und so marschieren und reiten wir vorbei an frisch geschlachteten Hühnern, die am Zaun ausbluten, Kaffee und Hülsenfrüchten, die zum Trocknen am Rand der Straße liegen.
Der Weg schlängelt sich durch ein unwegsames Gelände, mal bergauf, mal bergab. Meistens bewachsen von tropischen Bäumen. Es ist heiß und staubig.
Nach gut anderthalb Stunden Fußmarsch erreichen die erste Finca, die wir heute besuchen – es gibt Mittagessen und Gespräche, über das Leben auf einer Kaffeeplantage, über den neu entstehenden Ecotourismus.
Die Familie ist aufgeregt, es sind noch nicht allzu viele Touristen hier in der abgelegenen Gegend vorbei gekommen. Und wie immer sind alle sehr freundlich und offen für all unsere Fragen. Es gibt noch einen Kaffee, natürlich selbst angebaut und geröstet, und dann geht es auch schon wieder weiter.
Irgendwann kommen wir im Tal an, dem geografisch wohl tiefsten Punkt unseres Marsches. Das Tal wird von einem kleinen Fluss durchzogen. Darüber führt eine blau gestrichene Brücke.
Voller Stolz erzählt uns Javier (Leiter unserer kleinen „Expedition“), dass diese Brücke noch relativ neu ist. Sie entstand aus dem Sozialfonds von „Red Ecolsierra“. Denn das ist einer der großen Vorteile der Kooperative: die Solidarität unter den Sozi@s. Die Preise werden im Vorhinein mit den Abnehmern verhandelt und hängen somit nicht vom Weltmarkt ab. So kauft die Kooperative den Bauern den Kaffee für einen festen Preis ab und verkauft diesen dann mit Gewinn an ausländische Exporteure weiter. Dadurch erreichen die Kooperative und die ihr angeschlossenen Bauern Planungssicherheit. Auch erhalten sie eine Prämie für fair und ökologisch angebauten Kaffee. Ein Teil des Gewinns der Kooperative fließt in einen Sozialfonds und wird in Form einer „Gemeinschaftsprämie“ ausgezahlt.
Über die individuellen Prämien kann jede Familie selbstständig verfügen und entscheiden, was sie mit dem Geld machen möchte. Die Gemeinschaftsprämien hingegen werden für gemeinsame Bauvorhaben oder Projekte ausgegeben. Es wird demokratisch entschieden, für welches Projekt oder Vorhaben der zusätzliche Gewinn ausgegeben werden soll. Und so entstand diese Brücke. Eine echte Erleichterung, denn nun müssen die Kaffeeproduzenten nicht mehr mit ihren schwer bepackten Mulis durch den Fluss waten.
Der sieht aktuell harmlos aus, aber die Haupterntezeit für Kaffee in Kolumbien liegt in der Regenzeit. Dann steigt der Wasserpegel hier so sehr an, dass Mulis und ihre Besitzer oft bis zum Bauch im Wasser standen. Mit mehreren Säcken Kaffee (á 60kg) auf dem Rücken ein gefährliches Unterfangen. Auch die staubigen Wege, die wir nun erneut erklimmen, werden durch den Regen extrem gefährlich – der Staub verwandelt sich in Schlamm und der Abstieg wird zur Rutschpartie.
Wie gut für uns, dass es heute nicht regnet!
Weiter geht’s auf dem Marsch zur nächsten Finca und dem Endpunkt unserer heutigen Tour. Doch für den Weg, den die Einheimischen in 30-45 Minuten zurücklegen, brauchen wir mit der gesamten Gruppe viermal so lang. Und so senkt sich langsam die Sonne über der Sierra Nevada. Wir packen Taschenlampen und Handylichter aus, um uns auf dem rutschigen und holprigen Weg zu orientieren. Als wir gegen 19 Uhr unser Nachtquartier erklommen haben, sind alle erleichtert.
Wieder gibt es ein großes Hallo und einen herzlichen Empfang – wir sind die erste Gruppe von Ecotouristen (Ökotouristen), die sich jemals hierher aufgemacht hat.
Es ist ein großes Gewusel aus unserer Gruppe, Kindern, die fernsehen, Frauen die Essen zubereiten, Männern, die die Zimmer vorbereiten und dafür ganze Bettgestelle von einem in den anderen Raum tragen. Die Gastfreundschaft ist überwältigend – wir sollen uns wohlfühlen. Anfangs kommen die Gespräche in der ganzen Hektik nicht richtig zustande. Schwer zu erkennen, wer eigentlich hier wohnt und wer ein Cousin oder eine Schwester ist, die von einer benachbarten Finca zu Besuch hier ist.
Es werden Tische gestellt und Stühle gerückt – Plastikstühle, die bei uns schon längst auf dem Sperrmüll gelandet wären, die mit Draht repariert wurden und damit wieder absolut funktionsfähig sind.
Wir alle bewundern irgendwie die Einfachheit dieses Lebens, in dem so ganz andere Dinge zählen als bei uns. Hier ist es wichtiger, mit der Familie zusammen zu sein, Zeit miteinander zu verbringen, gemeinsam die täglichen Aufgaben zu meistern, als die perfekt eingerichtete Küche oder den schönsten Esstisch zu haben. Und für einem romantisch-verklärten Moment wirkt es wie das Paradies auf Erden. Im Einklang mit der Natur, mit dem Sonnenstand und den Jahreszeiten. Frühmorgens aufstehen, wenn der Hahn kräht. Kaffee ernten, wenn er reif ist. Mit der Familie am Tisch sitzen und Gemüse und Früchte essen, die man selbst angebaut hat.
Doch dann holt mich die Realität wieder ein: für die Kinder bedeutet das einen Schulweg von 45 Minuten bergauf, bergab – bei jedem Wetter. Für Kranke bedeutet das im Notfall ein Ritt auf einem Muli und dann eine Fahrt mit dem Auto bis zum nächsten Arzt oder Krankenhaus – oder meist einfach: keine ausreichende ärztliche Versorgung.
Wir alle bewundern irgendwie die Einfachheit dieses Lebens. In dem so ganz andere Dinge zählen als bei uns. Hier ist es wichtiger, mit der Familie zusammen zu sein, Zeit miteinander zu verbringen, gemeinsam die täglichen Aufgaben zu meistern, als die perfekt eingerichtete Küche oder den schönsten Esstisch zu haben. Und für einem romantisch-verklärten Moment wirkt es wie das Paradies auf Erden. Im Einklang mit der Natur, mit dem Sonnenstand und den Jahreszeiten. Frühmorgens aufstehen, wenn der Hahn kräht. Kaffee ernten, wenn er reif ist. Mit der Familie am Tisch sitzen und Gemüse und Früchte essen, die man selbst angebaut hat.
Doch dann holt mich die Realität wieder ein: für die Kinder bedeutet das einen Schulweg von 45 Minuten bergauf, bergab – bei jedem Wetter. Für Kranke bedeutet das, im Notfall ein Ritt auf einem Muli und dann eine Fahrt mit dem Auto bis zum nächsten Arzt oder Krankenhaus – oder meist einfach: keine ausreichende ärztliche Versorgung.
Ein Leben von Tag zu Tag mit Abhängigkeit vom Wetter, der Ernte, dem Weltmarktpreis. Letzteres zum Glück weniger, durch die Mitgliedschaft in der Kooperative „La Red“. Und letztlich durch unseren Konsum von fair und direkt gehandeltem Kaffee. Aber die absolute Freiheit sieht auch anders aus!
Während ich meinen Gedanken nachhänge, wird flux der Tisch für die erste Runde gedeckt – es ist nicht Platz für alle auf einmal, also essen wir in Etappen. Es gibt, wie sooft in den letzten Tagen, eine Suppe, dann Fleisch, Salat, Reis und gebratene Kochbanane.
Der Rest der Gruppe, der am Tisch keinen Platz hat, sitzt auf Kaffeesäcken, auf dem Mäuerchen, das die Veranda vom Garten abgrenzt, auf dem Boden und auf weiteren Stühlen. Ich versuche die etwas Zurückhaltenderen unserer Gastgeber in Gespräche zu verwickeln oder einzubeziehen, in dem ich Fragen stelle. Anfangs läuft es etwas schleppend – wir sind wohl alle etwas müde von dem für uns ungewohnt langen Marsch. Auch die Sprachbarriere ist wieder ein Thema. Doch am Ende kommen zumindest einige interkulturelle Gespräche zustande, bevor wir alle todmüde in unsere Betten fallen.