Ein bisschen schwierig zu finden war er schon, der Eingang zum Café Libertad Kollektiv hier in Hamburg-Altona – eher unscheinbar sehen die Hallen aus und auch das Schild ist eher dezent. Doch als ich dann da bin und Alexej gefunden habe, der heute mein Ansprechpartner sein wird, bin ich beeindruckt. Ich hätte nie gedacht, dass die Halle dann doch so groß ist. Das ergibt jedoch Sinn denn schließlich lagern hier die Kaffeesäcke palettenweise.
Aber halt stop, nochmal von vorne. Wo bin ich überhaupt und worum geht es Café Libertad Kollektiv?
Entstanden ist die Gruppe in den 90ern, damals gab es erste Unterstützungsbestrebungen aus Deutschland für die zapatistische Bewegung in Mexiko, die 1994 durch einen bewaffneten Aufstand internationale Aufmerksamkeit erlangte.[i] Die in basisdemokratischen Gruppen organisierten Indigenen wehren sich gegen Landraub. Damals hatten sie jedoch zunächst wenig, womit sich handeln und so ein Einkommen erzielen ließ – außer Kaffee.
Und so brachte eine Gruppe Deutscher nach einem Besuch bei den Zapatistas also 10 Sack Kaffee mit nach Deutschland, röstete ihn, verkaufte ihn in Deutschland und spendete das Geld zurück nach Mexiko. Aus diesem ersten Sozialprojekt wurde durch jahrelange Kooperation und Zusammenarbeit das Café Libertad Kollektiv, das heute 13 Menschen (in Hamburg) beschäftigt. Im Kollektiv entscheiden alle alles gemeinsam und alle haben das gleiche Lohnniveau, egal, ob sie Marketing machen, Rechnungen schreiben oder die Kisten für Kundenbestellungen packen. 80 % der Umsätze kommen aus Kundendirektbestellungen. Der Direktimport – (Direkthandel, mit Fokus auf solidarischem Handel) bildet eine wichtige Grundlage der Solidarität. Denn so fallen die Kosten für Zwischenhändler weg, die beim Kaffeeimport sonst einen Großteil des Preises ausmachen und mit dazu beitragen, dass die Bauern und Bäuerinnen oft viel zu wenig Geld für ihre Arbeit erhalten.
„Beim Handel ist uns Augenhöhe wirklich wichtig. Aber“, räumt Alexej ein, „ganz auf Augenhöhe kriegen auch wir nicht hin. Es gibt einfach ein systemisches Abhängigkeitsverhältnis, das können wir in letzter Konsequenz leider nicht ändern. Doch unsere Form des solidarischen Handels geht auf jeden Fall einen guten Schritt weiter als die des fairen Handels. Denn wir bieten nicht nur eine Vorfinanzierung von bis zu 60% und eine langfristige Zusammenarbeit an, wir suchen Kooperativen auch ganz konkret danach aus, dass sie basisdemokratisch organisiert und politisch aktiv sind.“ So soll der Handel nicht nur zu einer verbesserten Einkommenssituation der Handelspartner führen, sondern auch politische Ideen und gelebte Utopien unterstützen. „Wir arbeiten auch nicht mit Privatpersonen zusammen, denn wir wollen ja nicht einige wenige Großgrundbesitzer vor Ort unterstützen. Mit dem Kriterium der „politischen Aktivität“ stoßen wir auch manchmal an unsere Grenzen. In Tansania zum Beispiel sind Kooperativen aufgrund der realsozialistischen Vergangenheit ganz anders organisiert.
In Lateinamerika ist das ganz anders, viele Bauern sind in Kooperativen organisiert. Dort haben wir eher ein anderes Problem, nämlich die Konkurrenz. In einem Jahr, in dem es wenig Kaffee gibt, sind die fahrenden Händler, auch „Coyoten“ genannt, besonders aktiv. Das sind Zwischenhändler, die direkt die Bauern anfahren und vor Ort den Kaffeepreis und die Menge verhandeln. Da Kaffee an der Börse gehandelt wird, kann der Preis in Jahren mit wenig Kaffee auch mal höher sein, als das, was die Kooperative den Bauern zahlt. Das Problem ist hier die Nachhaltigkeit, denn im nächsten Jahr kann der Kaffeepreis viel niedriger liegen und das ist natürlich schlecht für die Bauern. Deshalb sind uns stabile Partnerschaften wichtig, bei denen wir auch große Teil vorfinanzieren und die den Bauern eine zuverlässige Lebensgrundlage bieten, unabhängig vom Kaffeepreis an der Börse.“
Auf meiner „Fairtrade Journey“ habe ich mit vielen Menschen gesprochen, die durch ihre Arbeit und konkrete Handelsbeziehungen das Leben der Menschen in den Anbauländern verbessern möchten. Zum Bespiel auch durch verschiedene „Fairtrade“ Siegel. Was hält Alexej davon?
„Ich finde den Ansatz grundsätzlich sinnvoll“, mein Alexej, „aber man darf nicht vergessen: je größer der Markt ist, desto niedriger werden die Standards. Früher war Fairtrade ein absolutes Nischenprodukt, das man nur im Weltladen kaufen konnte. Heute gibt es Waren mit diesem Siegel im Supermarkt und sogar bei den Discountern. Bei einer so hohen Produktion sinkt natürlich der Anspruch automatisch.“ Ich möchte wissen, woran sich das bemerkbar macht. „Na zum Beispiel daran, dass früher nur kleinere Bauern zertifiziert werden. Heute hast du ne Menge Plantagenwirtschaften, die auch das Fairtradesiegel bekommen.“ Und ja, ich erinnere mich an Rainforest Alliance zertifiziert Kaffeeplantagen auf den Galapagos Inseln. Klar, dass so ein eigentlich guter Ansatz verwässert wird. Schwer vorstellbar, wie die großen Plantagen dem gleichen ökologischen Anspruch von Diversität (statt Monokultur) gerecht werden sollen, wie eine von Familien betriebene Landwirtschaft, die zur Eigenversorgung oft automatisch noch andere Bäume und Pflanzen kultiviert.
Deshalb und vor allem, wegen des Solidaritätsgedankens kommt der Kaffee beim Café Libertad Kollektiv ausschließlich aus kleinbäuerlichem Anbau. In den Hallen lagert er säckeweise. Als wir in ein Loch eines Sacks schauen (die Säcke werden zur Qualitätskontrolle „angestochen“ und eine Probe entnommen) – sehe ich, dass der Kaffee noch grün ist „Röstet ihr selbst?“ frage ich. „Nein, dafür haben wir eine Kooperation mit einem Röster in Kaldenkirchen. Wir machen aber den Direktimport und den Direktvertrieb. Für den Direktimport spielt uns der Standort Hamburg natürlich in die Hände, weil wir hier den Hafen haben, in dem Containerschiffe mit Waren aus aller Welt ankommen. Die Säcke werden dann per LKW auf Paletten unten im Hof angeliefert und kommen mit dem Lastenaufzug hier zu uns in den ersten Stock. Wenn der mal kaputt ist, sehen wir alt aus.“
„Und wie oft passiert das, dass der Aufzug ausfällt?“ möchte ich wissen. „Na ja, du siehst ja selbst, dass die Hallen hier ziemlich alt sind. Und also auch der Aufzug. Aber sooft ist er zum Glück noch nicht ausgefallen. Wir haben schon mal überlegt umzuziehen, aber zu diesem günstigen Preis würden wir heute in Hamburg nichts mehr bekommen. Und wir fühlen uns auch ganz wohl hier“, Alexej grinst. Das kann ich verstehen, denn die alten Hallen haben ihren Charme.
Hinten der Rohkaffee, weiter vorne, auf einer Art Galerie über dem Ganzen thronen ein paar Sofas, die zum Pause machen einladen. Darunter werden bei Punk Musik die Bestellungen der Kunden verpackt. Alexejs Kollege packt neben Kaffee auch Tomatensoße, Nudeln und Olivenöl ein.
„Das kommt aber wohl nicht aus Mexiko, oder?“ frage ich. Die beiden lachen. „Nein, das sind Produkte von europäischen Kooperationspartnern aus Italien, Spanien und auch Griechenland. Wir haben einfach geschaut, wie wir unsere Produktpalette erweitern können und auf welche Produkte wir Lust haben. Wir alle mögen gerne Pasta, also lag’s nah, in Italien nach Kooperationspartnern zu suchen. Uns ist immer wichtig, dass die Initiativen möglichst basisdemokratisch funktionieren und alle gleichberechtigt sind und etwas für die Dorfgemeinschaft machen. Unsere spanischen Partner zum Beispiel kümmern sich um verwaiste Olivenhaine und lassen sie wieder aufleben, oder engagieren sich gegen den Bau einer Lithiummine [ii].“
Wow, das klingt, als könne man hier mit einem Einkauf die Welt ein kleines bisschen besser machen. Aber ist das nicht sehr teuer? Nun ja, einige Produkte kosten schon mehr als im Supermarkt. Doch ein Vergleich mit dem billigsten Produkt aus dem Supermarkt ist nicht fair, schließlich liegen hier ganz andere Standards zugrunde. Außerdem sind manche Produkte erstaunlich günstig, vor allem da durch den Direktimport und –vertrieb viele Zwischenhändler wegfallen, die sonst noch etwas mitverdienen müssten.
Meinen Lieblingskaffee „Rebeldia“ gibt es schon für 3,80€ in der 250g (Stand 01/2020) Packung. Günstiger gibt es einen Markenespresso im Supermarkt auch nicht. Und der ist dann weder fair noch bio und schon gar nicht direkt gehandelt.[iii]
Ein Grund mehr, beim Vorratseinkauf richtig zuzuschlagen – wo ich schon mal hier bin und so wandert neben Kaffee, auch noch Mate-Tee, Olivenöl und sogar Rum in meine Einkaufskiste – dem Genuss mit gutem Gewissen steht also nichts mehr im Weg!
Du möchtest mehr über das Café Libertad Kollektiv, sein Engagement, seine Kooperationspartner und Produkte erfahren? Dann besuche hier die Webseite: https://www.cafe-libertad.de/ [iv]
[i] „Als Zapatistas bzw. Zapatisten werden überwiegend sozialrevolutionäre indigene politische Gruppierungen im Süden Mexikos, vor allem im Bundesstaat Chiapas, bezeichnet.“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Zapatistas]
[ii] https://www.cafe-libertad.de/proteste-gegen-lithium-tagebau
[iii] Von den 2019 importierten Kaffees waren 86,5% Bio und 13,5 % konventionell oder Umstellungskaffee aus Costa Rica und Chiapas.
[iv] Dies ist KEIN Affiliatlink, d.h. ich bekomme kein Geld, wenn du hier klickst. Ich teile den Link hier aus der Überzeugung heraus, dass es sich um gute Produkte zu einem guten Preis handelt und weil ich den politischen Ansatz des Café Libertad Kollektivs unterstützen möchte .